Die Musikschule hat zu. Es wird kalt draußen und der Surfsound der letzten Welle ist schon längst ausgetropft. Ebbe gut, alles gut. Passend, dass die 125. Ausgabe Eurer Lieblingskompilation um die Ecke kommt. Versprechen kann ich allerdings nicht, dass damit der Herbstblues vertrieben werden kann. Ganz im Gegenteil. Wer die zweite Seite in dunklen Räumen hört, ahnt das versteckte Motto des Monats: Melodien für Melancholien.

 

Herbst- hilft ja nix.

Das geht alles schon mit dem Coverbild los. Bis kurz vor Redaktionsschluss gabs ein enges Rennen mit einer Marathon-Momentaufnahme. Doch das war zu energisch. Denn der Oktober entzieht trotz seiner Goldrigkeit für gewöhnlich sämtlichen Tatendrang in fast allen Lebensbereichen.

 

Ein klassische Auftakt

Also huldigen wir dem Grau – und beginnen heute mal von hinten. Mit Seite Nummer zwei. Um genauer zu sein mit einer Kirchenkantate von Johann Sebastian Bach. Die Spreewelle hat ja schon viel durchgemacht. Drängt sich auf mit Pseudo-Know How in Bezug auf French-Pop, besserwissert geflissentlich mit Weisheiten zum Ursprüngen der Surfmusik und doziert über Bande, wenn immer mal wieder Jazz-Tracks die Kompilation flankieren. Aber Klassik? Das geht zu weit. Geht es eigentlich auch. Ich kann mit jetzt 37 zwar anerkennend Whiskeygläser schwenken und feiere im Vorhinein die kommende Anschaffung eines stoffbezogenen Ecksofas mit Chaiselongue, aber vor allem vokale Klassik aka Opern werden mir mit Sicherheit noch ein paar Dekaden fremd bleiben. Anders verhält es sich mit Bach. Sein Werk gilt nicht ohne Grund als Einstiegsdroge für Musikfreunde, die eigentlich mit E nix am Hut haben. Nicolas Godin hat im September seine Soloplatte „Contrepoint“ veröffentlicht. Da trifft sich also Airs Schlüpfrigkeit mit der Vielseitigkeit eines der größten deutschen Komponisten auf nen Ricard. Und herauskommt: Was ziemlich Gutes. Und wenn dann auch noch Thomas Mars von Phoenix den Originaltext der eingangs erwähnten Kantate zum Besten gibt, dann kann ich der Sünde nicht widerstehen.

 

 

Vom offenen Buch mit 7 Siegeln

Vor einigen Monaten erschien „Vestiges & Claws“ – Jose Gonzales aktuelles Soloalbum. Umgehauen hat es mich nicht. Der all zu liebliche Gitarrenminimalismus wirkt satte 12 Jahre nach „Crosses“ dann doch schon ziemlich ausgeleiert. Eine Ausnahme allerdings ist „Open Book“. Hier beweist der Schwede wie das geht mit dem richtig guten und punktgenauen Indiesong.

 

 

Ja! Pan!

Wir bleiben Indie – sowieso bin ich der Meinung, dass bei einem derart derben Nieselscheiß wie er sich gerade draußen abspielt, kaum etwas besser passt als klassischer, melancholischer Indiepop. Und den beherrschen auch Bands aus Japan. Ja, Japan. Curly Giraffe sagen Euch wahrscheinlich so viel wie mir. Man muss schon die japanische Wikipedia Seite aufrufen und lustig übersetzen lassen, um an ein paar mehr Infos über diesen Singer-Songwriter zu gelangen. Wie dieses Stück in meinen Stream geriet, ist mir unerklärlich. Aber es handelt sich um ziemlich zwingendes Spreewelle-Seite-2-Material.

 

Und dann ein großes Duett. Ach, Duetts im Indiesegment. Immer gut. The Civil Wars bespielen in letzter Zeit recht regelmäßig die Spreewelle. Und was in einem optimistisch-energischen Juli noch jammernd klingt, reift im gelblig-verblichenden Oktober zu großer Reife.

 

The Civil Wars – Poison & Wine

 

Eine Chance für die Gefühle

Geben wir jetzt dem Kommerz-Schmerz eine Chance. Mit Cameron Mitchell. Ja. Der hat beim Glee-Projekt mitgemacht. Ja, er kommt aus Texas. Aber er trägt mit „Blackbird“ ein vor allem harmonisch ganz wunderbar schmachtendes Fetzchen an den Start – auch wenn’s ein Cover ist.

 

Cameron Mitchell – Blackbird

 

Und da reiht sich natürlich auch John Mayer ein. Schnulzenpop, jaja, redet Ihr nur. Seine ersten 2 Platten waren pures Gold für den Herzschmerz des damaligen Lebensabschnitts. Und: Selbst richtige Musiker sind von seinen Songwriter-Fähigkeiten  überzeugt. Leider ist es in letzter Zeit ein wenig ruhig geworden um den Herrn Mayer. „Tracing“ stammt denn auch aus der „Bigger Than My Body“-Zeit. Eine B-Seite, die es leider Gottes nicht mehr auf iTunes gibt.

 

 

Neu und ebenfalls beachtenswert sind die Beiträge von City And Color, die sich auf ihrer neuen Platte endlich ein ordentliches Stück weiterentwickelt haben und nicht mehr ausschließlich auf die unbestrittenden vokalen Fähigkeiten ihres Frontmanns Dallas Green vertrauen. Mit „Killing Time“ auf der ersten und dem richtig schmissigen „Wasted Love“ auf der zweiten Seite kriegt die Band aus Kanada dieses Mal sogar ein Doppelfeature.

 

 

Unge-woont dunkel: Der Beginn von Seite 1

Seite 1? Ja. Bei aller Wetterdeprimiertheit wollen wir ja auf den etwas schwungvolleren Part der 125. Spreewelle nicht verzichten. Oft passiert das ja heutzutage nicht mehr, dass die Nichtverfügbarkeit eines bestimmten Titels einen zur Weißglut bringt. Da hat sich in den letzten 10 Jahren dann doch einiges geändert. Distribution ist eigentlich kein Problem mehr. Und trotzdem passiert es immer mal wieder. BBC 1 ist ja seit jeher Quell großartiger Cover. Das Format Livelounge liefert beständige Gänsehaut. Dann immer, wenn aktuelle Künstler Dinge covern, die auf den ersten Blick ein wenig absurd klingen. So geschehen mit Jamie Woon. Der umtriebige Indiesoul-Barde durfte jüngst 12 Minuten Sendezeit gestalten – und zwar in Trevor Nelsons Show. Trevor Nelson. Ja, den gibt’s noch. Zum Glück. Woon widmete ein Teil seiner Perfomance Aalyah. „Try Again“ verpasst der ansonsten ziemlich unterkühlt gewordenen zweiten Seite der 125 einen warmen Harmoniereigen. Herrlich. Aber eben auch: Nicht zugänglich. Nur mit dem Ondesoft-Recorder, der von windigen Software-Webseiten heruntergeladen werden musste, ließ sich eine Browser-Aufnahme in annehmbarer Qualität bewerkstelligen. Aber nur 50 Sekunden. Fühlte sich an wie früher. Damals. Als man mit Kazaas One-Bit-per-Minute-Ballade nächtelang mitgefiebert hat. Aber wie damals gilt: Ein Musikstück, das man sich derart illegal und kräftezehrend verdient hat, ist eine Kostbarkeit. Und kommt dann erst demnächst auf die Welle.

 

 

Beck hat sich geduscht

Das mit Beck ist immer so eine Sache. Dass er ein makelloser Musiker ist, ist unbestritten. Und doch. Scientology. Da war doch was. Egal. Der Kalifornier ist zur Zeit ziemlich omnipräsent. Ganz ohne, dass er eine neue Platte veröffentlicht hätte. Zum Beispiel ließ er sich auf eine Kollaboration mit den Chemical Brothers ein (dessen neues Album neben dem Stampfer „Go“ nicht all zu viel zu bieten hat). Heraus kam eine ganz sonderbar saubere und düstere Nummer namens „Wide Open“. Könnte auch von Hot Chip produziert worden sein. Jedenfalls profitieren beide Partner von dieser Kollision. „Wide Open“ funktioniert 1a bei Fahrten auf Schienen. Hier nur als Klavierversion.

 

 

Ein Duke kommt selten allein

Dunkel und elektronisch – davon gibt es Einiges zu Beginn der ersten Welle. Die Lieblingsschweden Peter Bjorn und John z.B., die sich mit dem derzeit sehr erfolgreichen gold-maskierten Produzenten Claptone zusammen getan haben. „Puppet Theater“ lebt nicht von Harmonien oder Arrangement, sondern allein von Stimmung.

 

 

Ähnlich, aber mehr 80er der Beitrag von Duke Dumont. Immerhin eine Woche lang die Nummer 1 bei Hypemachine, überzeugt „Ocean Drive“ mit herrlichem Synthiebass und einer ziemlich eingängigen Hookline.

 

Gute Songs und schlechte Bandnamen

Was haben wir noch im Angebot? Eine nah am Sellout befindlichen Hymne namens „I Wish (My Taylor Swift)“ von den Knocks. Kalifornier, die denken, „Kisses“ sei ein dufter Bandname und mit „The Nile“ (was ein besserer Bandname gewesen wäre) eine aufgeregt-zappelnde Komposition zum Besten geben, das stark und gut an The Virgins erinnern.

 

Außerdem natürlich New Order. Die neue LP sieht super aus in der Sammlung, klingt aber ziemlich statisch. Da musste schon das Remix-Kollektiv RAC Hand anliegen, damit es „Restless“ auf die Spreewelle schafft.

 

Mal die CHYRCHES im Dorf lassen

CHVRCHES haben auch ein neues Album draußen. Ihr erbarmungsloses Suchen (und Finden) nach der Killer-Hookline hat ihnen unverständlicherweise nicht nur Lob gebracht. Was man „Leave The Trace“ vorwerfen könnte ist allerdings höchstens, dass es sich ziemlich stark an „The Mother We Share“ orientiert. Wurscht. Hochglanzpop ohne Schämen geht mit CHVRCHES immer noch sehr gut.

 

 

In der Mitte wird es noch einmal ehrlich und etwas dreckiger. Mit den unvermeidlichen Superösis Wanda, mir Kristoffer & the Habourheads aus Göteborg und EL VY, dem erfreulichen Seitenprojekt von The National-Sänger Matt Berninger.

 

Achja. Auf die 12 gibt auch noch mal. Der letzte Rest, der von dem ursprünglich geplanten Marathon-Cover übrig geblieben ist: Die teilweise erstaunlich gute Streckenanfeuermusik. So tatsächlich gehört an der Torstrasse: David Rubato mit dem Aeroplane-Remix von „Circuit“ und RÜFÜS‚ „Like An Animal“.

 

Kommt gut durch den Herbst.

 

 

— Coverlocation: Tiergarten —

 

 

Seite 1

 

[unordered_list style=“number“ number_type=“circle_number“ animate=“yes“]
  • Jamie Woon Sharpness
  • The Chemical Brothers Wide Open feat. Beck
  • Claptone Puppet Theatre (feat. Peter Bjorn and John)
  • Duke Dumont Ocean Drive
  • The Knocks & Matthew Koma 05 I Wish (My Taylor Swift)
  • Kisses The Nile
  • New Order Restless (RAC Mix) mamomo
  • CHVRCHES Leave A Trace
  • Camel Power Club Ourson
  • RAC 3AM (feat. Katie Herzig)
  • City and Colour Wasted Love
  • Wanda Bussi Baby
  • Kristoffer & the Habourheads Moving Backwards
  • EL VY Return To The Moon (Political Song for Didi Bloome to Sing, with Crescendo)
  • Wild Child Break Bones
  • Breakbot You Should Know (Alternate Take)
  • RÜFÜS Like an Animal (Original Mix) [up by Nicksher]
  • David Rubato Circuit (Aeroplane Remix) (h.cut)
  • Pokey Lafarge Something In The Water
  • Ebo Taylor Love And Death
[/unordered_list]

Seite 2

 

[unordered_list style=“number“ number_type=“circle_number“ animate=“yes“]
  • Nicolas Godin Widerstehe Doch Der Sünde
  • José González Open Book
  • Curly Giraffe You Just Swept Me Off My Feet
  • The Civil Wars Poison & Wine
  • Cameron Mitchell Blackbird
  • The Sea and Cake On a Letter
  • Calhoun Black Coffee and Cigarettes
  • John Mayer Tracing
  • City and Colour Killing Time
  • Chvrches Playing Dead
  • Sea Wolf Old Friend
  • Stahsi Solo Hunter
  • Ms. John Soda 13 Sirens
  • Astronauts Etc feat. Toro Y Moi Rocket Man
  • Beach House Space Song
  • Mo Kenney Telephones
  • The Tellers Second category
  • The Rumour Said Fire The Balcony
  • Bob Moses Tearing Me Up
  • Ben Folds I’m Not the Man
[/unordered_list]