Die Revolution kommt auf leisen Sohlen daher. Die 152. Ausgabe der Spreewelle ist bereits die zweite Kompilation, die von A bis Z auf Spotify zur Verfügung steht (eingebettete Playlisten für Seite A und B siehe unten). Spotifiy – ja, richtig gehört. Ein Kniefall vor dem Algorithmus. Ein süßer Schmerz für alle Puristen. Aber Veränderung hat ja auch sein gutes. So klingt es auch im Titeltrack.

 

Everything Grows

Der Release der neuen Welle ist wohl getimet. Denn erst heute, zwei Tage nach Ostern und mehrere Tage nach dem eigentlichen offiziellen Frühlingsanfang scheint der Winter zu entstarren und sich zu verflüssigen. Alles blüht – oder hat das zumindest vor. Und deshalb beginnen wir hier mal mit dem Opener von Seite 2. Die Band Coloring besingt in „Everything has grown“ allerdings nicht das Wunder des Jahreszeitenwechsels. Stattdessen geht es ums Verwelken und Drübergraswachsenlassen im Kontext ehemals inniger Beziehungen. Trotzdem zwitschern im Hintergrund die Vögel. Und auch deshalb kann dieser herrlich melancholische Track auch als Seufzer für das Endlicherreichen des Frühlings verstanden werden.

„And I hope you’re better off
And your heartbeat never stopped
Every scar has done healing
And you found your Eden“

 

 
Weniger Tiefgang und elegische Schönheit, dafür deutlich mehr Optimismus und Zufriedenheit versprüht die Nummer Eins der Seite Eins. Die kommt von Rex Orange County aus England. „Loving Is Easy“ ist nach „Sunflower“ schon sein zweiter lupenreiner Superhit. Dabei klingt er schon beim ersten Durchgang wie ein alt bekannter Popsong aus den 70s, den man nicht mehr aus dem Gehörgang bekommt. Easy minded und liebesbeseelt geht es in klassischer Songstruktur zu den finalen Ahs und Ohs – und zum Repeat-Knopf.
 

 

Go let it out!

Mit krawalliger Lust am Spiel geht anschließend Theo Katzmann zu Werke. Der singende Gitarrist und Drummer aus L.A. serviert mit „As The Romans Do“ einen herrlich gradliniges Stück Indierock. Spätestens hier wird klar, dass es der 152. Spreewelle darum geht, all die aufgestaute Lebensfreude endlich rauszulassen.
 

 
Beim Hören des Vorboten des neuen DRANGSAL-Albums fallen einem fast die Ohren ab – vor Verwunderung. Was ist denn da los? Farin Urlaub ist wieder 24 und komponiert genauso frech und frei wie dereinst? Tatsächlich stammt der Vergleich zum Ärzte-Frontmann von Max Grube selbst. Sehr erfrischend jedenfalls, dass „Turmbau zu Babel“ in Drangsals noch sehr jungen Karriere eine völlig neue Richtung einschlägt.
 

 
Neckischen Indiepop gibt’s in der Folge von den Verrückten von Awolnation. Ihr „Handyman“ ist der definitiv eingängigste Beitrag ihres neuen Longplayers „Here Comes The Runts“ und klingt verdächtig schön nach Weezer.
 

I’m not brittle I’m just a little
Scared of your temperament
I’m not brittle I’m just a little
Scared of my government

 

 
Wer die etwas saftigeren Beats vermisst, kommt ab der Mitte der ersten Hälfte auf seine Kosten. Zum Beispiel mit der Yuksek-Fassung von Karren Anns „Where Did You Go“…
 

 
… oder dem etwa gleich schnellen Beitrag von Jean Tonic. „Feel Better Now“ klingt ein bißchen wie das erste emotionale Solo-Projekt einer der beiden Daft Punk-Roboter. Das ist sehr einfach. Aber auch sehr schön.
 

 
Und auch bei Charlotte Gainsbourg’s French Disco-Versuch „Sylvia Says“ scheinen eben jene Roboter ihre stählernen Finger im Spiel gehabt zu haben.
 
Speaking of Roboter. Auf Seite 2 verbirgt sich die ziemlich angsteinflößende Zukunft der Musik – komponiert von künstlicher Intelligenz. Das Sony CSL Research Labratory arbeitete im letzten Jahr daran, neues Beatles-Material zu erschaffen – in dem man der Intelligenz einen Algorithmus aus sämtlichen Beatles Tracks errechnen ließ und ihr anschließend beibrachte, auf dieser Grundlage selbst kreativ zu werden. Ein sehr empfehlenswerter Talk zum Thema Kreativität und AI findet sich übrigens hier. Für den Track „Daddy’s Car“ wurde lediglich der Text von Menschenhand geschrieben.
 

 
Warum das so angsteinflößend ist? Weil sich wie zufällig um diesen Song herum von den Beatles beeinflusste Lieder gruppiert haben, die von Homo Sapiens geschaffen wurden – und also letztlich genauso gut von der Maschine hätten komponiert werden können. Zum Beispiel „Hand It Over“ von MGMT.
 

 
Oder „Most Anything“ von der Band Sage.
 
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Menschlicher, weil voller Fehler und Durcheinander ist alles was The Go! Team bislang veröffentlicht hat. Der „Semicircle Song“ sollte eigentlich schon auf die verspätete Januar-Welle, war aber zu fröhlich dafür. Deshalb gehört dem Sextett aus Brighton heute der Schlussakkord.
 

 

Coverart: „Butterly“ by Spreewelle
Coverlocation: Berlin
 
 

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