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Wir haben gewählt. Und das mit ordentlich Zeitverzögerung. Der neue Spreewelle-Sampler ist da. 36 Songs, die noch verträumt dem Sommer hinterherpfeiffen.

Die Indierockgitarre ist dabei etwas verstimmt, denn sie muss sich vornehm zurückhalten. Die erste Seite wird bestimmt von höchst knackigen Indiepop-3-Minütern, viele davon haben das Zeug dazu, Ihre Zeit zu überdauern. Aber los geht es erstmals erstaunlich soulig. The Roots bringen dieser Tage ihren neuen Longplayer raus. „How I Got Over“ heißt der Vorbote und packt routiniert clever und musikalisch intelligent ein rohes, schepperndes Schlagzeug zusammen mit einem 60s-Sample und dem wortgewandten Sprechgesang ihres Protagonisten, der auf den wohlklingenden Namen „Black Thought“ hört. Was die Roots meinen, wenn sie ihren Stil „Organic Soul“ nennen, wird einem nach diesem Opener so klar wir Kloßbrühe.

Richtig spaßig geh’s dann weiter. The Anomalies haben ein Stück geschrieben, dass „Employee Of The Month“ heißt und wunderbar bougalouig um die Ecke schrammt und sich schön einordnet neben den Infadels (ein Nachgereich aus 2007) und dem eh immer gut gelaunten Gonzales („Working Together“).

Just Jack bringt dieser Tage auch sein neues Album heraus. Wenn man den Engländer mal live gesehen hat, wird man zum ziemlich kritiklosen Fan auf Lebenszeit. Auf „All Night Cinema“ habe ich zwar noch keinen Überhit wie sein 2007er „Starz In Their Eyes“ gesehen, aber sein „253“ klingt in seiner lillyesken Schnippigkeit trotzdem komplett.

Und dann rollt die Disco an. Gleich in 6-facher Ausführung. Jaja, Disco. Darauf hat sich die Musikjournalie geeinigt. So heißt der Sound, wenn er zu pop für Indie-Electro und zu indie für Pop-Electro ist. Klar? Dass wird deutlich wenn man sich „Heartbreaker“ anhört (da hat Indie-MSTRKRFT sich Pop-John Legend vorgeknöpft)…

…oder DATA (Daft Punk-Anleiehen mit unglaublichem Zug zum Tor), …

… oder Chromeo (treffen sich ein Israeli und ein Palistensär in der Disco und entwerfen klingende Leuchtschrift), oder natürlich La Roux (die diesjährigen Ting Tings),…

… oder Gossip (da braucht es nun wirklich keinen fetzigen Halbsatz in der Klammer zur Erklärung), oder Calvin Harris (die ungewohnte Luftigkeit von „Ready For The Weekend“ überrascht, wäre nach seinen 2008er Erfolgen doch eigentlich eine musikalische Verspannung zu vermuten gewesen) oder, oder, oder.

Herauszuheben wäre da noch die neue Single von Peter Bjorn und John. Ich möchte immer Ohrfeigen austeilen an alle die, die denken, dass die Schweden nicht mehr können als „Young Folks“ pfeiffen. Riesenirrtum! „It Don’t Move Me“ moves me, sozusagen. Es sind genau zwei Dinge, die die Schweden auszeichnen. Die immer wieder überraschende Instrumentation, gerade im Bereich der Rhythmusgruppe und, ja, das Talent für Catchy Harmonien. Zu „It Don’t Move Me“ gibt es übrigens auch noch einen formidablen, stimmungsmäßig ganz anders gefärbten Remix von We Have A Band – bitte ebenfalls prüfen.

Ein ganz bißchen Rock gibt es dann schon noch. Von den Handsome Furs, von Awesome New Republic und Julian Plenti. Letzterer setzt mit „Games For Days“ den ungewöhnlichen Schlussakkord der ersten Seite. Ungewöhnlich, denn ansonsten sind die 18 Stücke erstaunlich depressionsfrei. Mit Dank an den ausdauernden Sommer.

Die Band der Stunde kommt aus England. The XX, mittlerweile Dauergast auf der Spreewelle, haben gerade ihr selbstbetiteltes Debut herausgegeben. Darauf wird man Zeuge von begnadetem Minimalismus. Reduzierter und cooler kann man kaum klingen. Das beweist das Quartett dann auch auf Seite 2. Hier dann mal mit einem Cover von Womack & Womack. Dabei können die Briten ihre gesamte Kompetenz unter Beweis stellen. Ein zunächst irritierender, weil zum Original völlig konträrer Basslauf umspielt dieses wirklich gelungene Remake – und bei der Art und Weise, wie Romy Madley Croft die Lyrics herüberhaucht, versteht man plötzlich auch, warum der Song „Teardrops“ heisst.

The XX liegen Soundtechnisch durchaus im gleichen Cluster wie Whitest Boy Alive. Deren Sänger Erlend Øye veröffentlicht ja gerade ganz hyperaktiv das neue Album seines bereit 1999 gegründeten Projekts Kings Of Convenience. In den Schlafzimmern unserer Generation sind deren CDs so selbstverständlich wie der Name Maya in den Kitas im Prenzlauer Berg. „Rule My World“ aus „Declaration Of Dependence“ überzeugte spontan am meisten – auch weil es nicht ganz so typisch nach den Schmuseschweden klingt. Denn, man muss es ehrlich sagen, da besteht schon auch die Gefahr der reizenden Überflutung.

Außerdem auf der ruhigen Sonnenseite: Die Junior Boys, die sich erfreulicherweise auf ihrer neuesten Veröffentlichung der Eingängigkeit verpflichtet haben. Das heißt nicht, dass es plötzlich so etwas wie permanente Hookline gäbe, oder man ganz freiwillig auf sphärisches Gedängel verzichtet. Trotzdem entfalten die Songs auf „Hazel“ nach und nach eine angenehme Penetranz. „The Animator“ ist ein gutes Beispiel dafür. Und Live sollen die sich auch lohnen. Gelegenheit zum Nachprüfen gibt es genug. Gefühlt spielen die Kanadier ja jede Woche in einem der Berliner Lieblingsclubs.

Im schönen Zwielicht zwischen Schwermütigkeit und Leichtfüßigkeit bewegt sich auch Bon Iver. Ja, den Trend habe ich verschlafen. Letztes Jahr jubelten alle. Jetzt halt ich. Besser spät als nie. „Re: Stacks“ – ein wahrhaft großartiges Stück Musik.

Der Grübelei ein Ende setzt Noah and The Whale. Mit Pauken, Trompeten und sogar einem Gospelchor beschwören sie die Bläunis des Himmels und legen dabei den Teppich aus für meine Lieblingshippies Magic Numbers (B-Seite „Fear Of Sleep“ – 5 Sterne), Mew, die Pomegranates und The Clientele.

Zum Abschluss kräuselt sich die Stirn wieder nachdenklich. Voxtrots Trennungsgesprächslied „Berlin, Without Return“ folgt dem verhexten „Witching Stone“ und rundet so Spreewelle 53 gebührend ab. Und nächstes Mal bleiben wir wieder im VÖ-Timing, versprochen.

CD 1:
The Roots – How I Got Over
The Infadels – Topboy
The Anomalies – Employee Of The Month
Gonzales – Working Together (Akira The Don Remix)
Just Jack – 253
MSTRKRFT Feat. John Legend- Heartbreaker
Data – One In A Million
Chromeo – Night By Night
La Roux – Bulletproof
Gossip – Love Long Distance
Calvin Harris – Ready For The Weekend
Miike Snow – Animal-Fake-Blood-Remix
Peter Bjorn An John – It Don’t Move Me
The XX – Islands
Handsome Furs – I’m Confused
Awesome New Republic – Dances When
Julian Plenti – Games For Days
Maximo Park – Just dance (BBC radio live)

CD 2:
Kings Of Convenience – Rule My World
Alexi Murdoch – Love You More
Just Jack – The Day I Died
Au Revoir Simone vs. Phoenix – Sad Song From 19
The XX – Teardrops
Monogrenade – Ce soir
Bon Iver – Re Stacks
Junior Boys – The Animator
Noah and the Whale – Blue Skies
Magic Numbers – Fear of Sleep
Mew – Beach
Pomegranates – Tesseract
The Clientele – I Wonder Who We Are
Until June – In My Head
Blindfold – Falleg Depuro
Seamus – Why
The Black Heart Procession – Witching Stone
Voxtrot – Berlin, Without Return

Photo-Credit: Tim